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AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes: Ist “Sven K.” die undichte Stelle?

AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes: Ist "Sven K." die undichte Stelle?

Björn Höcke (AfD-Chef in Thüringen) und Jörg Urban (AfD-Chef in Sachsen): Vor allem Höcke sorgt immer wieder mit Grenzüberschreitungen für Schlagzeilen. (Quelle: IMAGO)SchlagzeilenAlle Schlagzeilen anzeigen

Verfassungsschutz und Innenministerium wollten nicht, dass das AfD-Gutachten öffentlich wird. Jetzt ist es das – und ein Mann gerät unverschuldet in Verdacht, es durchgestochen zu haben.

In der Bundesdruckerei gibt es einen Mann, der am Dienstag das Gutachten des Verfassungsschutzes zur AfD verflucht haben könnte. Denn es bereitet Sven K. Ärger, ohne dass er etwas dafür kann. Sven K. wird völlig zu Unrecht verdächtigt, das geheime Gutachten an das Magazin "Cicero" weitergegeben zu haben, und das liegt an einem früheren SPD-Minister.

Das Magazin hatte am Dienstag unter der Überschrift "Cicero veröffentlicht das gesamte Geheimgutachten des Verfassungsschutzes zur AfD" zwei PDF-Dokumente hochgeladen: die Seiten 1 bis 499 sowie 500 bis 1108 – das komplette, brisante Papier. Es liefert die Begründung des Verfassungsschutzes, warum er die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft hat. Vor allem das "in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis" sei nicht mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar, hieß es in einer Pressemitteilung des Verfassungsschutzes.

Diese Pressemitteilung ist von der Homepage der Behörde verschwunden: Als die AfD Klage einreichte, löschte das Amt sie und setzte zugleich die Hochstufung mit einer sogenannten Stillhaltezusage aus. Das gilt zumindest, bis im Eilverfahren über die AfD-Klage entschieden ist. Es soll verhindern, dass Fakten geschaffen werden, ehe ein Gericht entscheiden kann. Es bedeutet aber nicht, dass der Verfassungsschutz jetzt anderer Auffassung ist oder Fehler einräumt.

Verfassungsschutz verweigerte Veröffentlichung

In der Pressemitteilung hatte der Verfassungsschutz nur sehr spärlich Einblicke in das Gutachten gegeben – und es auch nicht veröffentlicht. Das dürfte in erster Linie an der Fülle personenbezogener Daten liegen, sagte der Rechtswissenschaftler Luca Manns von der Forschungsstelle Nachrichtendienste an der Uni Köln dem Portal "Legal Tribune Online".

Für jeden der genannten Namen müsste der Verfassungsschutz sonst einzeln begründen, warum bei einer Nennung die Interessen der Allgemeinheit wichtiger sind als schutzwürdige Interessen des Betroffenen. Die Geheimhaltung hatte dennoch viel Kritik und Unverständnis ausgelöst. Tenor: Die Bürger müssten die einzelnen Gründe bei einer Entscheidung von so großer Tragweite erfahren.

"Spiegel" und "Bild" zitierten zwischenzeitlich aus dem Gutachten und schrieben, sie hätten es "einsehen" können. Seit diesem Dienstag und der Veröffentlichung durch "Cicero" und dann weiterer Medien ist es allgemein zugänglich. t-online liegt es inzwischen auch aus einer eigenen Quelle vor.

AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes: Ist "Sven K." die undichte Stelle?

Bundesdruckerei: Ein Name in den Metadaten ließ falsche Spekulationen aufkommen, dass das AfD-Gutachten von hier weitergegeben wurde. (Quelle: Waldmüller/imago-images-bilder)

Bei dem Verarbeiten des Gutachtens ist der "Cicero"-Redaktion aber offenbar ein Fehler unterlaufen. Dieser führte dazu, dass mit Sven K. ein Unbeteiligter in Verdacht geriet, das Gutachten an das Magazin gegeben zu haben. Um das zu verstehen, braucht es zunächst ein wenig technisches Grundlagenwissen: Digitale Dokumente können verräterisch sein. Sie enthalten oft versteckte Informationen – sogenannte Metadaten: Mit welcher Kamera wurde ein Foto gemacht? Wer hat einen Text zuletzt bearbeitet oder ist Autor? Das bedeutet auch, dass Journalisten dies beachten müssen, wenn sie solche Dateien veröffentlichen, um die Spur zu Quellen zu verwischen.

Netz-Detektive forschten Sven K. nach

Im PDF-Dokument des Gutachtens bei "Cicero" findet sich eine solche Spur. In den Metadaten steht "sven K." als Urheber – der Vorname klein-, der Nachname groß- und ausgeschrieben. t-online kürzt ihn hier ab, um den unbeteiligten Mann zu schützen. Nachdem "Cicero" den Beitrag mit dem Gutachten veröffentlicht hatte, hatten sich Nutzer auf der Suche nach der undichten Stelle die Metadaten angeschaut und waren dabei auf Sven K. gestoßen. Kurz darauf geisterten der Name und Hinweise auf das Profil eines Mitarbeiters der Bundesdruckerei in einem beruflichen Netzwerk durchs Netz – mit Kommentaren, er werde jetzt wohl bald gefeuert. Doch Sven K. ist nicht das Leck und ging in die Offensive. Er schaltete eine renommierte Medienrechtskanzlei ein.

Die Bundesdruckerei kann die undichte Stelle nicht sein. Dort lag das Gutachten nach t-online-Informationen nie vor. Eine Sprecherin der Bundesdruckerei formuliert das umständlicher: "Ein Bezug zwischen dem genannten Dokument und der Bundesdruckerei ist nicht vorhanden." Nach t-online-Informationen druckt das Bundesamt für Verfassungsschutz derartige Dokumente im Haus aus. Exemplare gingen von dort zunächst nur ans Bundesinnenministerium und an Stellen in den Ländern.

AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes: Ist "Sven K." die undichte Stelle?

Das Gutachten des Verfassungsschutzes: Der "Cicero" hatte es zuerst komplett veröffentlicht. (Quelle: t-online)

Alle, die in Amtsstuben bis dato damit zu tun hatten, hätten sich mit einer Weitergabe strafbar gemacht: Das Gutachten ist als "VS–NfD" eingestuft, als "Verschlusssache, nur für den Dienstgebrauch". Damit ist es geheim, wenn auch auf der niedrigsten Geheimhaltungsstufe. Eine Weitergabe stellt für Mitarbeiter im Dienste des Staates eine Verletzung des Dienstgeheimnisses dar, sie sind zu besonderer Geheimhaltung verpflichtet. Bis zu fünf Jahre Haft drohen.

"Cicero"-Autor ist früherer Minister

Schon der ungerechtfertigte Anschein kann rufschädigend sein. Bundesdruckerei-Mitarbeiter Sven K. wollte nicht unverschuldet im Verdacht stehen. Auf ein Schreiben seines Anwalts antwortete der Autor des "Cicero"-Beitrags. Der Publizist Mathias Brodkorb versicherte darin, es handele sich um "einen misslichen Zufall der Namensgleichheit". Weder mit K. noch einem anderen Mitarbeiter der Bundesdruckerei habe er je Kontakt gehabt, so Brodkorb.

Brodkorb war von 2011 bis 2019 SPD-Minister in Mecklenburg-Vorpommern, dann bis 2022 und einer vorzeitigen Trennung Aufsichtsratschef der Universitätsmedizin Rostock und Greifswald. Seit 2018 ist er Kolumnist bei "Cicero". 2021 kassierte das Magazin eine Rüge des Presserats für einen Beitrag von Brodkorb, der der sich mit einem Pseudonym als lesbische Frau ausgegeben und an einem digitalen Forum eines Lesbenverbandes teilgenommen hatte. Er verteidigte sich, das sei angesichts der "weithin ignorierten 'Kollateralschäden des transgender-Diskurses'" gerechtfertigt gewesen.

AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes: Ist "Sven K." die undichte Stelle?

Mathias Brodkorb: Der frühere Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern brachte im "Cicero" das AfD-Gutachten an die Öffentlichkeit. (Quelle: Bernd Wüstneck/dpa)

Doch wie kam der Name Sven K. überhaupt in die Metadaten des Dokuments? "Der Name ist von mir", schrieb Brodkorb auf X. Auch auf mehrfache Nachfrage von t-online wollte er nicht erklären, was das genau heißt.

Mit diversen Tools lassen sich auch Metadaten manipulieren oder überschreiben, die Datei muss tatsächlich nicht von einem Sven K. stammen. Brodkorb beantwortet aber nicht, ob er die Metadaten geändert hat. Stattdessen antwortet er auf solche Fragen: "Scheint mir unerheblich". Verwunderlich daran wäre: Wieso sollte jemand den Namen Sven K. eintragen und nicht den eigenen oder einen ganz offensichtlich falschen wie Donald Duck? Brodkorb betont lediglich: Er habe die Quelle nicht verraten.

Anwaltskanzlei hat Gutachten seit Freitag

Der Kreis der möglichen Zuträger ist nach der Klage der AfD größer geworden und umfasst inzwischen auch die Kanzlei, die die AfD vertritt: Das Verwaltungsgericht hat am Donnerstag vergangener Woche vier Exemplare in Papierform vom Verfassungsschutz bekommen, wie ein Sprecher t-online sagte. Dem Anwalt der AfD sei am Freitag eines dieser Papier-Exemplare zur Akteneinsicht übergeben worden.

Ein "Sven K." ist am Gericht nicht beschäftigt, und Zugriff auf das Gutachten haben ausschließlich die mit den Verfahren befassten Richterinnen und Richter der zuständigen Kammer sowie ein Urkundsbeamter. Der Sprecher: "Eine Weitergabe an die Medien kann ausgeschlossen werden."

Und bei der Kanzlei Höcker? Sie vertritt die AfD seit Jahren in Klagen gegen den Verfassungsschutz, bietet Mandanten auch in großem Umfang Öffentlichkeitsarbeit zur Unterstützung der Verfahren, sogenannte Litigations-PR, und hat das Gutachten seit Freitag vorliegen. Eine Anfrage von t-online dazu von Mittwochmittag wurde zunächst nicht beantwortet. Ein Anruf in der Kanzlei ergab aber zumindest: Einen "Sven K." erreicht man dort nicht.

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Als das Portal "Nius" um den früheren "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt kurz nach "Cicero" nachzog und das Gutachten ebenfalls veröffentlichte, stand in den Metadaten: Creator "KM_C450i". Das ist die Typenbezeichnung eines Multifunktionsdruckers.

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